Socken gegen Blitzeis

von Sarah Bsdurek am 9. Oktober 2025 18:18 Uhr Blog -  Lesezeit 2 min

Kallenhardt – Auf den Tag genau 40 Jahre, nämlich seit dem 10. Oktober 1985, ist Agnes Rüther Zeitungszustellerin in Kallenhardt. Ihr Vorgänger war in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ abgehauen. „Und der hat alles mitgenommen. Sogar den Zeitungswagen“, erinnert sie sich. Die nächtlichen Arbeitszeiten passten für sie gut ins Familienkonzept, da ihr Mann bei der Polizei in drei Schichten gearbeitet hat.

So war Agnes Rüther fortan – und ist es noch – an sechs Tagen in der Woche auf drei Touren zwischen 2 Uhr nachts und 5 Uhr morgens mit den Zeitungen unterm Arm durch Kallenhardt unterwegs. Auch im Urlaub schläft sie in dieser Zeit nicht. „Ich stehe zwar nicht auf, aber ich bin wach. Manchmal habe ich in der Zeit auch gebügelt oder so. Da muss man für gemacht sein“, weiß sie, „aber es ist auch schön, wenn man morgens durch den frischen Schnee geht, durch den noch keiner gelaufen ist“. Angst, alleine draußen in der Dunkelheit zu sein, hatte sie nie. „Auf dem Land geht das, in der Stadt würde ich aber keine Zeitungen verteilen.“

So ganz alleine ist sie auf ihren Touren auch gar nicht. Denn wenn die Menschheit schläft, sind die Tiere wach und unterwegs. „Ich habe viele Rehe, Kröten, Marder und Füchse gesehen, Hirsche röhren gehört, Milchkühe und frisch geborene Kälbchen gerettet.“ Auch manch einen Betrunkenen hat sie auf ihren Runden nach Hause gebracht, gelbe Säcke und Autos mit nicht angezogener Handbremse von der Straße geholt. „Ich habe auf unser Dorf aufgepasst.“

Und was hat sich in den vergangenen 40 Jahren am Job verändert? „Früher war der Winter anders. Da gab es meterhohen Schnee, sodass manchmal die Zäune nicht mehr zu sehen waren. Aber ich bin immer durchgekommen.“

Heute ist es Blitzeis, das Probleme bereitet. Aber dafür hat die erfahrene Zeitungsbotin einen cleveren Trick: „Das Blitzeis ist gefährlich, weil man es nicht sieht. Ich habe immer Socken in der Tasche, die ziehe ich dann über die Schuhe. Damit kommt man überall hin.“

Ein weiterer Unterschied ist, dass früher fast jedes Haus eine Zeitung bekommen hat, heute fallen ganze Straßenzüge weg. Trotzdem macht Agnes Rüther jede Nacht zwischen 12 000 und 15 000 Schritte. „Ich habe mal ausgerechnet, wie viele Kilometer ich in den 40 Jahren durchschnittlich gelaufen bin: insgesamt viermal um die Erde.“ Das entspricht etwa 160 000 Kilometern. Denn frei hatte sie nur sonntags und an Feiertagen sowie im Urlaub.

Auch die Bezahlung hat sich im Laufe der Zeit verändert. Sowohl die der Kunden, als auch die der Zeitungsboten. „Früher habe ich einmal im Monat bei den Lesern kassiert. Ich habe schon bei einigen Leuten in der Küche gesessen. Das Geld durfte ich dann behalten und es wurde von meinem Lohn abgezogen.“ Und während die Zusteller früher nach Stückzahl abgerechnet wurden, gilt heute der Mindestlohn. „Das ist mir sehr zugute gekommen. Ich mache es auch immer noch gerne, aber irgendwann ist Schluss.“