Mutig über Ängste reden

von Julika Enders am 4. Oktober 2025 08:00 Uhr Kinder -  Lesezeit 3 min

Lippstadt – Angst ist erstmal etwas Gutes. Das klingt komisch, weil sich Angst doch ziemlich schlecht anfühlt. Aber sie funktioniert als Warnsystem und beschützt uns vor Gefahren. Angst kann aber auch selbst zur Gefahr werden. Und zwar dann, wenn sie unser Leben bestimmt und wir aus Angst bestimmte Dinge nicht mehr tun.

Sehr viele Menschen haben so eine krankhafte Angst. Das erzählt Melanie Gräßer. Die Lippstädterin ist Psychotherapeutin und behandelt Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit psychischen Problemen. Denn genauso wie der Körper krank werden kann, kann auch unsere Psyche, also unsere Gefühlswelt krank werden. Dann sind Psychotherapeuten eine wichtige Hilfe auf dem Weg zum Gesundwerden.

„Viele Menschen haben Angst vor Spinnen, das ist erstmal nicht so schlimm“, sagt Melanie Gräßer. Wenn die Menschen dann aber nicht mehr ihre Wohnung verlassen, weil sie Angst haben, draußen einer Spinne zu begegnen, wird die Angst zur Krankheit. „Wir nennen das pathologisch“, erklärt Melanie Gräßer. Oft merkt man das auch an körperlichen Reaktionen wie Schwitzen und Herzrasen.

Und wie geht man mit so einer pathologischen Angst um? „Wichtig ist, darüber zu sprechen“, sagt die Therapeutin. Das gilt übrigens auch für Kinder, die solche Ängste bei ihren Eltern bemerken. „Kinder sind da sehr sensibel, auch wenn die Eltern denken, sie merken das gar nicht, bekommen sie sehr viel mit“, weiß Melanie Gräßer. Die Kinder sollten sich einer Bezugsperson wie der Kinderärztin oder dem Lehrer anvertrauen, wenn sie bemerken, dass mit ihren Eltern etwas nicht stimmt.

„Am besten ist es natürlich, wenn die Eltern selbst offen mit ihren Kindern darüber reden“, sagt Melanie Gräßer. Dann könnten die Kinder das Verhalten besser verstehen und suchten die Schuld nicht bei sich selbst. „Kinder spüren sehr genau, wenn es ihren Eltern nicht gut geht, besonders wenn ein Elternteil unter einer Angststörung leidet, kann das für Kinder verwirrend und belastend sein“, erklärt die Therapeutin. „Kinder merken, dass Mama oder Papa in bestimmten Situationen ängstlich oder vermeidend reagieren, doch oft fehlen ihnen die Worte und das Verständnis, um diese Reaktionen einordnen zu können. Ohne Erklärungen können Unsicherheiten, Schuldgefühle oder sogar eigene Ängste entstehen.“

Aber es gehört viel Mut dazu, über psychische Probleme zu sprechen. Oft wollen Eltern ihre Kinder schützen und sprechen solche Probleme deshalb nicht an. Aber: „Wenn Kinder etwas verstehen, kommen sie mit allem zurecht“, betont Melanie Gräßer. Und die Kinder sehen: Mama oder Papa haben ein Problem, aber sie machen etwas dagegen. Das stärkt die Kinder auch im eigenen Umgang mit Problemen.

Wer den ersten Schritt geschafft hat und über seine Angst spricht, kann dann hoffentlich auch Hilfe bekommen. Leider sind psychotherapeutische Praxen jedoch sehr voll, so dass man gar nicht so leicht einen Termin bekommt. Manchmal kann auch eine Gesundheitsapp helfen. Eine sogenannte DiGA wird von der Ärztin verordnet und enthält viele Tipps und Anwendungen, mit dem Problem fertig zu werden.

Erklärbuch für Kinder

„Lulu kickt die Angst ins Aus“ heißt das Kinderfachbuch der Lippstädter Autoren Melanie Gräßer und Eike Hovermann jun. Darin geht es um Elternängste und deren Auswirkung auf Kinder. Das Besondere an diesem Buch: Es richtet sich an Therapeuten und gleichzeitig an Familien. Die Geschichte von Lulu vermittelt Kindern das Thema Angst und zeigt ihnen Möglichkeiten, damit umzugehen.

Viele Kinder wachsen mit einem psychisch erkrankten Elternteil auf

Angststörungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Etwa acht von hundert Menschen leiden in Deutschland unter Ängsten. Damit gehören Angststörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Von Ängsten sind dabei Frauen fast doppelt so häufig betroffen wie Männer (Robert Koch-Institut, 2024). Für Kinder bedeutet das: Etwa ein Viertel der 0- bis 16-jährigen Kinder wächst mit einem psychisch erkrankten Elternteil auf. Und das hat Folgen: Studien zeigen, dass betroffene Kinder ein höheres Risiko haben, im Laufe ihres Lebens selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Darum ist es so wichtig, über das Thema Angst zu sprechen und es ernst zu nehmen.